Eine erschreckende Unglückszeit ist
das Jahr 1816 gewesen, noch heute erzählt man sich mancherorts von dieser
Hungersnot und von der Mißernte, so lange ist die Erinnerung wachgeblieben.
In zeitnahen Worten schildert die Chronik der Stadt Freiburg (1838 S. 122) den
damaligen Zustand: "Es schien, als ob die Sonne Licht und Wärme verloren
habe, der Regen fiel beinahe den ganzen Sommer hindurch, verhinderte das
Reifen und die Einerntung der Feldfrüchte, Obst und Gemüse wurden
geschmacklos, und der Weinstock, in der Blütezeit und bei der Lese durch
Nässe und Kälte verdorben, gab wenig und schlechten Wein. Großenteils
mußten die Feldfrüchte naß heimgetan werden. In einigen Landesgegenden,
welche ihrer Lage wegen spätere Ernten haben, kamen Sommerfrüchte gar nicht
unter Dach und mußten der bald eingetretenen Winterkälte wegen auf dem Acker
und unter dem Schnee liegen bleiben. Selbst die Grundbirnen gediehen nicht,
und was man erhielt, wurde mit wenigen Ausnahmen geschmacklos und nährte
schlecht."
Die Folge davon war, daß eine ungeahnte Hungersnot und Mangel an Lebensmitteln eintrat, die sich in Stadt und Land überall gleich bemerkbar machten. Zwar erwachte an allen Orten eine organisiert° Wohltätigkeit, die wenigstens den größten Mangel lindern, jedoch nicht verhindern konnte, daß da und dort Todesfälle aus Hungersnot vorkamen. Besonders die Freiburger Armenkommission entfaltete eine rührige Tätigkeit und ein eigens zu diesem Zweck gegründeter Frauenverein konnte bis auf den Hochschwarzwald hinauf Lebensmittel und Liebesgaben entsenden. In der Stadt richtete man eine Suppenanstalt ein, die das Unmöglichste aufbot, um die vielen hungrigen Mägen zu stillen. Es kam damals die sogenannte Rumfordsche Suppe auf, und besonders der damalige Stadtarzt Rieggert bemühte sich um die Einführung dieser Suppe an der Suppenanstalt. Um einen Ersatz für das teure Fleisch zu erhalten, nahm man Knochen und kochte sie ab und benützte die davon gewonnene Gallert zum Suppenkochen, ja, man ließ sogar an drei Tagen der Woche einen Karren durch die Stadt fahren, um die noch brauchbaren Knochen zu sammeln, um daraus Gallert zu bereiten. So waren wenigstens einigermaßen die hungrigen Mägen gestillt worden; aber es ging dennoch ein Freudensturm durch Stadt und Land, als der erste Erntewagen im Sommer 1817 eingebracht wurde. In größtmöglicher Feierlichkeit wurde er vom Felde geholt, Musik- und Bürgerkorps begleiteten ihn in die Stadt, und in Ehrfurcht und Dankbarkeit buk man das erste Brot. Daß nebenbei auch dunkle Elemente ihre Hände mit im Spiele hatten, ließ sich trotz strengster Maßnahmen nicht vermeiden. Spekulanten und Wucherer trieben die Getreidepreise auf eine unerschwingliche Höhe und heimsten manchen schmutzigen Gewinn ein, bis schließlich die Obrigkeit mit ihren Anordnungen Einhalt gebot. Eine weitere traurige Folge dieses Jahres waren die vielen Auswanderungen. Die Chronik schreibt darüber: "Eine besondere Erscheinung zu dieser Zeit war die plötzliche Sucht auszuwandern. Viele Tausende von Bewohnern des Schwarzwaldes und des platten Landes wurden plötzlich von dem Schwindel ergriffen, nach Amerika oder Rußland auszuwandern. Es waren einige Falschwerber im Lande, die den einfältigen und mutlosen Landleuten goldene Berge vorspiegelten und sie überredeten, Haus und Gut zu verkaufen und über dem Meer in Amerika eine andere Wohnstätte zu suchen. Es fuhren ganze Schiffsladungen voll solcher Betörten den Rhein hinab nach Rotterdam oder Amsterdam. Weil aber die wenigsten das erforderliche Geld zur Bezahlung der Überfahrt hatten und überhaupt die ganze Anstalt eine Betrügerei war, so mußten die meisten nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in Holland, und nachdem sie alles Ungemach erduldet hatten, wieder in die Heimat zurückwandern und sich dahin bettelnd zu fristen suchen. Elend und Krankheit hatten viele aufgerieben. Die Zurückgekommenen hatten ihre Bürgerrechte in der Heimat durch die Auswanderung verloren und mußten daher als bloß geduldet oder als Hintersassen ihren Unterhalt suchen. Hierher kamen solcher Zurückkehrender viele und wurden menschenfreundlich mit Speise und Trank erquickt. Diese traurige Lektion wird hoffentlich nicht verlorengegangen sein und die Lust auszuwandern abgekühlt haben." Aber alle diese wohlmeinenden Worte und Ermahnungen, die man da und dort in den damaligen Zeitungen und Wochenblättern liest, fruchteten nichts, und ungezählte Familien wanderten aus, einem ungewissen Geschick entgegen. Man hatte sogar einen Gewährsmann, den Handelsmann Johann Georg Malzacher von Denzlingen, der zur Betreibung einer Erbschaftsangelegenheit nach Amsterdam reisen mußte, beauftragt, die dortigen Verhältnisse zu untersuchen und genaueste Untersuchungen über die Auswanderungsunternehmungen anzustellen. Es sei im Breisgau das Gerücht verbreitet worden, ein Baron Eckstein und sein Commissär Ganter, die in Amsterdam in der Adlerstraße im goldenen Löwen Nr. 280 wohnen sollen, haben sich erboten, auswandernde Familien ohne Bezahlung einer Fracht nach Amerika zu befördern und dort jedem Ehepaar ein Stück Land zuzuweisen, woraus sie erst nach zehn Jahren die Schiffsfracht zahlen könnten. Trotz eingehender Nachforschungen habe aber Malzacher nichts von alledem feststellen können, nicht einmal eine Adlerstraße gebe es in Amsterdam, viel weniger noch ein solches Unternehmen. Aus dem ganzen Breisgau gesellten sich die Auswanderer zusammen und vor allem stellten die Kaiserstuhlorte einen sehr großen Anteil. Um vorher noch die finanziellen Verhältnisse in Ordnung zu bringen, wurden alle Auswanderer vor das Bezirksamt geladen bzw. ihre Gläubiger, die noch Forderungen an diese zu stellen hatten. Kurze Zeit vorher wurden die Auswanderer im Freiburger Wochenblatt bekanntgemacht und mit den Gläubigern auf das Bezirksamt oder in die Dorfwirtschaft bestellt. Aus Ihringen sind es gegen 90 Personen, die im Frühjahr 1817 in Amerika eine neue, vermeintlich bessere Heimat suchen wollten. An den angegebenen Tagen hatten sich folgende Familien zu melden: Auf den 10. April 1817: Balthasar Höflin, Eheleute; Johann Georg Dirmaier, Eheleute; ,Johann Kun, Eheleute; Barbara Mattmüller; Simon Kopp, Eheleute; Anna Maria Gumpert, ledig; Michael Dürmaier, Eheleute; Georg Schillinger, Eheleute; auf den 11. April 1817: Jacob Mattmüller; Mart. Sohn, Eheleute; Georg Großklaus, Eheleute; Martin Scheppelin, Eheleute; Georg Kiss, Eheleute; Wilhelm Mößner, Eheleute; Georg Diringer, Witwer; Johann Diringer, Eheleute; Georg Haab, Eheleute; Georg Mößner, Martin Sohn, Eheleute; Georg Müller, Eheleute; Georg Mößner, Weinsticher, und dessen zweite Ehefrau, die Johann Großklaussche Witwe; Jakob Roßkopf, Eheleute; auf den 14. April 1817: Maria Anna Köbelin, ledig; Georg Mattmüller, Eheleute; Maria Anna Mattmüller; Martin Lautenschlager; Christoph Fiedler; auf den 28. April 1817: Georg Diringer jung; Georg Triendle; auf den30. April 1817: Johann Grazl, Salpetersieder, Eheleute; Georg Jungs Witwe; Katharina Bühler; Jacob und Salomea Meßinger, ledig; Maria Graf, ledige Tochter des Georg Graf; Georg Kuhn, ledig; Anna Maria Weber, ledig; Johann Georg Köbeli, Ebeleute; auf den 1. Mai 1817: Christian Graf, Eheleute; Mathias Graf, Eheleute; Johann Graf alt; Jacob Göpfert jung; auf den12. Mai 1817: Georg Hartmann, Sattler, Eheleute; Martin Bächle jung, Eheleute; Jacob Göpfert alt Eheleute; Philipp Triendle, Eheleute; Jacob Birmele und seine Frau, Witwe Katharina Maria Mosser; Mathias Georg und Jacob Kobi; auf den 20. Mai 1817: Georg Braun, Maurer, Eheleute; Johann Roßkopf, ledig; auf den 29. Mai 1817: Georg Mössner, Witwer; Johann Boll, ledig. Es muß ein erschreckend trauriger Abschied gewesen sein, als die Auswanderer auf der Straße gegen Breisach ihren Heimatort verließen, von wo sie mit Schiffen nach Amsterdam fuhren. Denn auch hier hatte sich sofort der Geschäftsgeist rege betätigt, und im Freiburger Wochenblatt finden wir genug Anzeigen von Schiffsinhabern, die gegen billigste Bezahlung die Auswanderer nach Amsterdam bringen wollten. Von dem Schicksal der Auswanderer ist recht wenig bekanntgeworden, ein großer Teil, wahrscheinlich der größte, ging drüben an Hunger und Elend zugrunde, teilw eise schon auf der Fahrt nach Amerika. Nur von einigen Ihringer Auswanderern erfahren wir etwas, wenn auch nicht sehr Trostvolles. Ebenfalls im Frühjahr 1817 war ein Handelsmann aus dem Breisgau, vielleicht aus Freiburg, gleichfalls nach Amerika ausgewandert und kam nach New-Orleans im Staate Louisiana, wo er in einem amerikanischen Handelshause eine gute Anstellung erhalten hatte. Im Mai 1818 schreibt er nun einen ausführlichen Brief an einen Freiburger, der ihn dem Freiburger Wochenblatt zum Abdruck zur Verfügung stellte (Jahrgang 1818, S. 772-773 und 777-779). Frauenknecht, so hieß der Kaufmann, schildert darin recht anschaulich die damaligen nicht sehr rosigen Verhältnisse in seiner neuen Heimat. Kurz vorher war das gelbe Fieber in der Stadt ausgebrochen und hat viele Opfer gefordert, auch er lag eine Zeitlang am Fieber krank zu Bett. Doch das Merkwürdigste, was in jener Zeit Aufsehen erregte, waren die Einwandererscharen aus Europa. Er schreibt darüber: "Drei Schiffe aus Amsterdam, die ca. 600 Emigranten hierher brachten, haben vor kurzem viel Aufsehen gemacht, teils durch die Neuheit einer solchen Erscheinung in dieser Gegend, teils durch den scheußlichen Zustand, in dem diese armen Unglücklichen durch Henkersknechte von Capitains und Entrepreneurs hierher geliefert wurden, nachdem man sie zuvor schon in Amsterdam betrogen und bestohlen und bis aufs Blut ausgesaugt hatte. Das Elend dieser Menschen, die Mißhandlungen, denen sie sich durch ihre Führer auf der See ausgesetzt sahen, waren so groß, daß die Gesetzgebung unmittelbar nach ihrer Ankunft lindernde Anstalten treffen mußte. Über 1200 jener Unglücklichen waren in den Raum von drei mittelmäßigen Kauffahrteischiffen zusammengedrängt, und über ein Drittel starb schon auf der ersten Hälfte der Reise, auf der zweiten tötete der Hunger und Durst beinahe ein zweites Drittel und nur etliche über 500 kamen hier an." Die meisten Überlebenden fanden zwar in der neuen Heimat eine Arbeit, doch war es mehr ein oft menschenunwürdiges Abbezahlen der Schulden, ohne die geringste Aussicht, jemals davon frei zu werden. "Rohes, welsches Korn", so schreibt Frauenknecht, "das ihnen noch in den Hülsen oder vielmehr an Kolben gereicht wird, ist beinahe die einzige Nahrung, welche sie auf dem Lande erhalten, und diese ungewohnte magere Kost fällt immer schwerer als die negermäßige Behandlung und Arbeit, der sie unterworfen sind." Die in Amerika schon angesiedelten Deutschen nahmen sich ihrer unglücklichen Brüder an, so gut es ging. Frauenknecht berichtete von mehreren, die halfen, er selber setzte sich mit allen Kräften für sie ein. "Ich hatte Gelegenheit, mehrere gut zu placieren, und einen jungen tüchtigen Kerl aus Ihringen, namens Lautenschlager, dessen Eltern noch am Kaiserstuhl leben, nahm ich selbst zu mir als Magazingehilfen. Mehrere Familien aus der Umgebung Freiburgs kamen mit ihm hierher, noch mehrere starben aber unterwegs. Weil viele derselben noch Verwandte haben, denen wohl an ihrem Schicksal liegt, will ich euch diejenigen namentlich angeben, welche die Habsucht der Capitains mit dem Tode büßten. Aus Ihringen sind gestorben: Jacob Roßkopf, Weib und Sohn aus Hunger und Durst, Friedrich Fiedler, seine Frau, zwei Töchter, namens Magdalena und Salome, dergl. Balthasar Höfle, seine Frau, zwei Söhne und eine Tochter, desgl. Georg Dürmayer, Frau und zwei Töchter, Salome und Christina, letztere in Holland geboren, desgl. Michael Diringers Frau, Johannes Diringers zwei Söhne und Georg Diringer, Vater, desgl. Michael Schmidt, desgl." (von 36 Ihringern, die sich in Amsterdam eingeschifft, sind also 20 gestorben). Soweit der erschütternde Bericht des Kaufmanns Frauenknecht. Demnach haben sich also schon in Amsterdam verschiedene Gruppen abgeteilt, und die Ihringer sind dort schon nach allen Himmelsrichtungen zerstoben. Gar beherzigenswerte Worte findet Frauenknecht am Schlusse seines Briefes, aus jeder Zeile spricht eine tiefe Sehnsucht und ein unsägliches Heimweh nach seinem Kaiserstuhl und nach dem Breisgau, ein Zeichen, daß es damals schon die alemannische Krankh.eit gab und auch - daß Frauenknecht ein echter Kaiserstühler war. Er schreibt: "Es kommt mir oft wunderbar vor, an den Ufern des Mississippi ebenso vertraut von Freiburg sprechen zu hören, als ehedem an der Dreisam, und die kleinen Breisgauer Häubchen samt den damit vereinten kurzen Röckchen, sprechen mich in den Straßen von New-Orleans oft freundlich an. und wecken noch öfter die Sehnsucht nach dem schönen Breisgau . . . Da mancher von euch an der Dreisam sich nicht ganz glücklich und zufrieden fühlt, so möchte wohl ein Aufenthalt von einigen Monaten in New-Orleans das beste Mittel sein, einen solchen mit dem schönen Breisgau-Tale auszusöhnen. Was kann es Schöneres geben, als die Umgebung liebender Freunde und gebildeter Menschen. Freiburgs freundliche Gegend und ein sorgenfreies mäßiges Auskommen. Der Mensch ist kein Zugvogel, und wenn es ihn auch einmal heraustreibt ins fremde, stürmische Leben, so sucht er doch bald emsig die Heimat wieder auf, und hat er sein Gefühl rein und unverdorben bewahrt, so wird es ihm sagen, daß er nur da seinen Himmel finden kann." Dr. KARL MOTSCH
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Auszug aus der Festschrift zur 1000-Jahr Feier | ||
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