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Ihringer Namen in Vergangenheit und Gegenwart

Das Datum der ersten urkundliche Nennung des Ortsnamens fällt nicht mit der Gründung der Siedlung zusammen. Diese liegt für uns ganz im Dunkeln. Vielleicht hat der Alemanne "Uro" schon im 4. Jahrhundert mit seinen Angehörigen das heutige Ihringen (alt: Üringen) gegründet. Der Ortsname reicht also weit in die Frühgeschichte zurück, aus der wir nur dürftigste Nachrichten haben. Ebenfalls hohes Alter ist einigen Ortslagenamen zuzusprechen. Ich denke vor allem an die -heim-Namen nach der Himmelsrichtung, die sich um den alten Ortskern gruppieren und in ihrer schematischen Anlage auf die Franken zu weisen scheinen. Gleiches Alter mit den Ortsnamen haben sicherlich einige der Flurnamen, nur daß wir dies wegen der fehlenden urkundlichen Zeugnisse nicht nachweisen können. Es leuchtet aber ein, daß schon die ersten Ansiedler solche Namen geschaffen haben, weil sie ihrer als Orientierungsmittel bedurften. Einmal entstanden, pflanzten sich die Namen der Berge, Täler, Bäche, Äcker, Weinberge usw. von einer Generation zur anderen fort - bis auf den heutigen Tag. Sie sind somit ein lebendiges Stück Vergangenheit, in ihrer Mehrzahl älter als alle Baulichkeiten im Ort, weiter zurückreichend als die ältesten schriftlichen Quellen, an Alter vergleichbar nur den stummen Zeugen der Bodenfunde. Für die Forschung besitzen sie den größten Wert, wenn es gelingt, sie zu entschlüsseln, denn viele Namen bergen schon seit Jahrhunderten ausgestorbenes Wortgut oder sind lautlich zersprochen - vergleichbar einer abgegriffenen Münze, auf der noch undeutlich die alte Prägung durchschimmert.
Erheblich jünger sind die Familiennamen. Sie entstehen, nach einer Periode der Einnamigkeit, bei uns erst im 13. Jahrhundert, spätestens im 14. Jahrhundert, und werden z. T. erst ganz allmählich fest.
Wir wollen nun versuchen - umrißartig -, einen Überblick über die ältesten Ihringer Flur- und Familiennamen zu gewinnen. Die Überlieferung beginnt im 13. und 14. Jahrhundert reichlich zu fließen. In den Güter- und Zinsbeschreibungen geistlicher und weltlicher Grundherrschaften werden zahlreiche Namen aufgeführt. Die Quellenlage ist einzigartig günstig: mehrere hundert Urkunden, zirka zweihundert Beraine (Güterbücher) warten darauf, für die Geschichte Ihringens bearbeitet zu werden. So wären aufgrund dieses überreichen Materials vom 14. Jahrhundert ab wohl alle Ihringer Flur- und Familiennamen lückenlos durch alle Jahrhunderte hindurch zu erfassen, was sonst kaum irgendwo möglich ist.
Wir greifen die zuerst erwähnten Flurnamen heraus und vergleichen sie mit den heutigen. Es ergibt sich, daß von rund hundertsechzig im Kataster und auf dem Gemarkungsplan verzeichneten Flurnamen hundert schon in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts erwähnt werden. Rund hundert Flurnamen weisen somit das ehrwürdige Alter von über sechshundert Jahren auf. Etwa sechzig Namen, die im 14. Jahrhundert auftauchen, sind verschollen. Es gibt kein sprechenderes Zeugnis für die beharrsame, traditionsbewußte, treu am Althergebrachten hängende Mentalität des Ihringers während mehr als zwanzig Generationen. Es ist unmöglich, hier alle Namen zu besprechen, wir greifen einige heraus und versuchen, sie zu klären.
Rechtsgeschichtlich besonders bedeutsam sind die in fast jedem alten Dorfe begegnenden Flurnamen Breite (Ackerland) und Brühl (Wiesen). Sie bezeichnen Land in unmittelbarer Dorfnähe, das durch besondere Größe, Güte und Rechte ausgezeichnet war und ursprünglich zu einem Herrenhof gehörte. Der Ihringer Brühl (heute Breul, gesprochen Brail) war im 14. Jahrhundert aufgeteilt und gehörte teils dem Kloster Adelhausen, teils Burkart Wimann. Etwas weiter entfernt liegt die Ihringer Breite (1327:  breitingen; kein Ortsname!), wo ebenfalls Adelhausen Besitz hatte. Beachtenswert scheint mir, daß die Langäcker (1316: langen agkera), die sehr oft ebenfalls in herrschaftlichem Besitz sind, an die Breite anschließen. Das Frontal (1316: Vrontal) enthält das alte Wort fro = Herr (noch erhalten in Fronleichnam) und gehörte wohl ursprünglich ebenfalls zum Fronhof, womit besondere Frondienste verknüpft waren. Der in der Nähe befindliche "Abtsweingarten" (1341:  des abtes wingarten) und die "Herrenhalde" waren Besitz des Klosters Tennenbach. Das Kloster hatte es also verstanden, sich in den Besitz einer der besten Ihringer Weinlagen zu setzen, ein Beweis mehr, welche Feinschmecker die Mönche waren. Auf dem "Fohrenberg" (1316: uf Vorhen) hatten die Klöster St. Blasien, Tennenbach, Waldkirch und Adelhausen Rebbesitz. Wie gut muß schon im 14. Jahrhundert der Fohrenberger geschmeckt haben! Der "Winklerberg" allerdings (1327: reben ze Winkeln) mag nicht weniger begehrt gewesen sein, treffen wir doch dort ebenfalls Besitz der genannten Klöster an. Die Deutung dieser Namen ist einfach. Auf dem trockenen Rücken des Fohrenbergs muß, bevor dort Wein wuchs, die Föhre (altdeutsch: forha, vorche) gestanden haben. Das winkelige Gelände (altdeutsch: winkil = Bogen, Ecke) führte zum Namen "Winkeln". Ein ganz vorzüglicher Tropfen gedeiht auch auf der "Himmelsburg" (1313: an dem Himmelsberge). Die hohe Lage im Verein mit der gesegneten Eigenschaft dieses Rebgebietes regten zu dem "poetischen" Namen an. Das gleiche Entzücken führte zu dem beinahe ekstatischen Namen Himmelreich (1327: himelrich).
Die letzte Ruhe finden die Ihringer im Friedhof bei der Kammerten (1613: in der kameratun). Kammerte ist ein alter Ausdruck aus dem Weinbau und bezeichnete das Rebenspalier an einer Mauer. Der Kammertenbau stammt aus der Römerzeit. Wir verlassen die Weinbergnamen und wenden uns noch einigen Berg- und Talnamen zu, die sicher in die ältesten Zeiten zurückführen. Oft begegnen wir alten Personennamen. So war z. B. der Lenzenberg (1341: uffen Lengzin) im 14. Jahrhundert teilweise im Besitz des "Lengzi", "Lentzi". Dieser Familienname enthält das heute nur noch schriftsprachlich gebräuchliche Lenz = Frühling. Gar nicht weit vom Lenzenberg befand sich der Maienbrunnen (1316: meiabrunnen), was unsere Erklärung gut stützt. Beim Schmerberg gegenüber (1308: Smerberg) hat die fette Lößerde (altdeutsch smer = Fett) namengebend gewirkt.
Manchmal weicht die heutige Lautgestalt sehr erheblich von der mittelalterlichen ab. Wer würde z. B. im "Krebsberg" den alten Gretzinsberg (1296) vermuten? Ich stelle ihn zu einem Rufnamen Gretzi(n), wie auch Josental (1327: Johanstal) auf Johann, Kozzental (1341: kozzental) auf Kozzo und Balschental (1307: Balterstal) auf Baldher zurückzuführen sind. Die Ausdehnung der Täler spiegelt sich in Namen wie Lengental (1327: lengental), Kleintal (1327: in kleintal), mit dem das Michental (1327: michental) korrespondiert, denn es enthält altdeutsch "michil" = groß.
Noch viele Namen wären zu nennen. Doch wir müssen uns beschränken und mit einem Blick auf ein Namenungetüm, das bisher allen Deutungsversuchen getrotzt hat, schließen. Das idyllisch gelegene Betschental zeigt sich im 14. Jahrhundert in abenteuerlichen Formen: 1316 Bezzescheschendal; 1327 Betzessental; Beschesental; und 1341: Betschezackuntal. Was mag sich hinter diesem Ungetüm verbergen? Möglicherweise ein Name der vordeutschen Bevölkerung?
Im Gegensatz zu den Flurnamen können wir bei den Familiennamen nicht von vornherein mit einer bruchlosen Tradition vom Mittelalter bis zur Neuzeit rechnen. Seuchen (Pest!) und Kriege, Zuzug und Wegzug (Auswanderung nach Amerika!) haben in mannigfacher Weise die alten Familien dezimiert, so daß die Geschlechtsnamen viel weniger am Boden haften wie die viel stabileren, in gewisser Beziehung geradezu unsterblichen Gewannamen. Trotzdem ist die Frage nach den ununterbrochen seit dem 14. Jahrhundert in Ihringen und Umgebung ansässigen Bauerngeschlechtern sehr interessant. Das Ergebnis ist höchst überraschend. Während man in anderen Orten des Breisgaus oder der Ortenau froh ist, ein Dutzend nachweisen zu können, sind es in Ihringen etwa vierzig Familien, die, im 14. Jahrhundert bezeugt, bis heute oder bis vor kurzem lebten. Wahrlich ein stolzes Jubiläum der Ihringer Bauerngeschlechter! Mancher Adelige würde sie um den über sechshundertjährigen Stammbaum beneiden!
Die Ergebnisse sind noch nicht endgültig. Sie werden nach Durcharbeitung des gesamten Materials noch modifiziert werden. Die Grundzüge einer ungewöhnlichen Seßhaftigkeit und Bodenverwurzeltheit der Ihringer bleiben aber mit Sicherheit bestehen.
Wir greifen nun - mehr oder weniger willkürlich - einige der ältesten Geschlechter heraus und suchen uns, soweit erforderlich, auch über die Bedeutung des Namens klar zu werden. Eine der verbreitetsten Familien sind die Birmele. Im 14. Jahrhundert heißen sie C. Biramuli, H. Piramuli usw., woraus dann lautgesetzlich Birmeli bzw. Birmele wurde. Der Name ist zusammengesetzt aus Birne und Mühle, was soviel wie "Obstmühle", "Obsttrotte" bedeutet. - Alt sind die "Brotbech" (1327), heute noch in Bötzingen. Alte Ihringer Geschlechter sind ferner u. a. die Fiedler (1327: Claus des Videlers), die Göpfert (1327: Hans götfrit), zahlreich schon im 14. Jahrhundert die Gutknecht (1327: Ebi Guotknecht), die Jakob (1327: Herman iacob), die Reinbold (1341: Gotfridi reinbolt), die Rieger (1327: Johannes Rüdger), die Stählin, jetzt Bötzingen (1341: Jo. stehelli) usw. usw.
Damit wollen wir den Gang durch die alte Ihringer Namenwelt abbrechen. Eine erschöpfende Darstellung würde ein Buch werden - der vorliegende kleine Beitrag soll nur einen Vorgeschmack davon bieten, was Wissenschaft und Heimatfreund von einer Aufarbeitung des ungewöhnlich guten Quellenmaterials erwarten können.
Darüber hinaus aber habe ich erstrebt, bei dem einen oder anderen Ihringer Staunen und Ehrfurcht zu wecken vor der vielfältigen jahrhundertealten Bindung an die Heimat. In einer Zeit zunehmender Entwurzelung ist eine recht verstandene Heimatliebe ein unschätzbarer Kraftquell. 

Dr. W. KLEIBER
Auszug aus der Festschrift zur 1000-Jahr Feier
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